Vorschlag für einen Konsens zwischen Landschaft und Gesellschaft zur Internationalen Grünen Woche 2020 in Berlin
Bäuerlicher Weckruf:
Raus aus den Wagenburgen!
Vorschlag für einen Konsens zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft
Ein „Weiter so“ in der Agrarpolitik und ein Wegducken vor den großen Herausforderungen, können sich weder Bäuerinnen und Bauern noch die Gesellschaft und die Politik leisten. Bäuerinnen und Bauern sind mit ihren Treckern auf den Straßen und sie haben allen Grund dafür. Wir stehen vor einem großen Veränderungsbedarf, mit dem die Betriebe alleine überfordert sind.
Jahrzehntelang war die agrarpolitische und betriebswirtschaftliche Ausrichtung „Wachsen oder Weichen“. Unterstützung kam von Verantwortlichen in Politik, Agrarindustrie, Beratung und Wissenschaft sowie aus Teilen der landwirtschaftlichen Berufsvertretung. Betriebliche Spezialisierung, Leistungszuwachs und Mengenwachstum pro Tier und Hektar, das Ziel der internationalen Kostenführerschaft mit viel zu niedrigen Erzeugerpreisen und hohen Weltmarktanteilen, das war die Devise. Dieses Agrarsystem stößt an seine ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Grenzen. Es ruiniert unsere Höfe und hat schon viele Berufskollegen zur Aufgabe gezwungen. Mehr noch: Es verliert massiv an Akzeptanz in der Gesellschaft. Bäuerliche Arbeit, die Erzeugung gesunder Lebensmittel sowie der Erhalt der Natur und der Artenvielfalt haben einen hohen Wert. Für diese Werte streiten wir als Bäuerinnen und Bauern gemeinsam mit der Gesellschaft. Lasst uns den Protest mit politischen Forderungen und praktikablen Lösungswegen für die Betriebe verbinden. Dabei sind wir auf Bündnispartner aus der ganzen Gesellschaft angewiesen.
Wir machen der Politik und der Gesellschaft ein konkretes Angebot:
Bis 2035 werden wir in Deutschland flächendeckend umwelt- und klimaschonenden Ackerbau praktizieren und unsere Nutztiere artgerecht halten, wenn hierfür endlich ein politischer und wirtschaftlicher Rahmen geschaffen wird.
Für einen Konsens zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft schlagen wir sechs Punkte vor:
1) Faire Preise
Die Wertschätzung bäuerlicher Arbeit bemisst sich in einem fairen Preis für landwirtschaftliche Erzeugnisse. Ruinöse Preise ruinieren unsere Höfe. Damit muss Schluss sein. Wir fordern ein Werbeverbot für Dumpingpreise. Die EU-Marktordnung muss geändert werden, um schwere Marktkrisen auf Grund preisdrückender Übermengen schnell bekämpfen zu können.
2) Fairer Handel
Die EU-Agrarexportpolitik mit Dumpingpreisen zerstört auch die Existenzen unserer Berufskollegen in anderen Teilen der Welt. Der Agrar-Außenhandel sowie die Importe sind zu qualifizieren. Die notwendigen hohen sozialen und ökologischen Anforderungen, die für die heimische Landwirtschaft gelten, müssen auch im internationalen Handel verbindlich durchgesetzt werden, damit bäuerliche und klimaverträgliche Landwirtschaft weltweit gestärkt wird. Die Bundesregierung fordern wir auf, dem EU-Freihandelsabkommen mit den südamerikanischen Staaten (Mercosur) nicht zuzustimmen. Unternehmen müssen bei der Verletzung von Menschenrechten und Umweltzerstörung haftbar gemacht werden.
3) Umfassende Nutztierstrategie umsetzen
Wir brauchen eine klare und anspruchsvolle Tierwohlzielsetzung, im breiten Konsens vereinbart. Das heißt für uns: Mehr Platz je Tier im Stall, Auslauf, Weidehaltung, Flächenbindung der Tierhaltung. Aus dem Markt sind diese Veränderungen nicht zu bezahlen. Wir fordern weitere Finanzierungsmittel für zusätzliche Tierwohlleistungen, um den Umbau der Tierhaltung stemmen zu können (z.B. Angleichung der Mehrwertsteuer oder Tierwohlabgaben an der Ladentheke.)
4) Grundlegende Reform der EU-Agrarpolitik
In diesem Jahr stehen zur Gestaltung der EU-Agrarreform wichtige Entscheidungen an. Es ist nicht zu rechtfertigen einfach wie bisher pauschal für jeden Hektar Direktzahlungen zu geben. Mit den EU-Direktzahlungen müssen – beispielsweise durch ein Punktesystem - eine gerechte und zielgerichtete Honorierung bäuerlicher Leistungen für Klima-, Arten- und Umweltschutz beschlossen werden. Vielfältige bäuerliche Betriebsstrukturen, die auch für die Artenvielfalt von großer Bedeutung sind, sind durch eine höhere Förderung der ersten Hektare zu stärken.
5) Umsetzung einer anspruchsvollen Ackerbaustrategie
Wir fordern eine klare Zielsetzung für Umwelt-, Klima- und Artenschutz im Ackerbau. Konkret: Vielfältige Gestaltung der Fruchtfolgen, der Anbau von klima- und bodenschonende Eiweißpflanzen wie Erbsen, Ackerbohnen, Lupinen und der reduzierte Einsatz von Dünger- und Pflanzenschutzmitteln müssen sich lohnen. Die Kosten müssen dafür berechnet werden und für die Kosten, die durch die EU-Agrarreform nicht abgedeckt werden, sind zusätzliche Mittel bereit zu stellen.
6) Bodenpolitik für Bäuerinnen und Bauern
Wir fordern ein Agrarstrukturgesetz und die Änderung des Grundstücksverkehrsgesetzes, um das Vordringen des außerlandwirtschaftlichen Kapitals endlich zu stoppen. Jungen Menschen muss der Einstieg in die Landwirtschaft dadurch ermöglicht werden.
Wir unterstützen die Einberufung einer Zukunftskommission Landwirtschaft, wie sie der Landwirtschaftsgipfel unter Leitung von Bundeskanzlerin Merkel am 2. Dezember 2019 beschlossen hat. Diese Kommission muss den Auftrag erhalten, innerhalb eines Jahres einen Vorschlag für klare verbindliche Ziele, Zeitrahmen, Kosten für die Betriebe sowie Finanzierungsmittel für die Veränderungen vorzulegen. In dieser Kommission müssen alle Verantwortlichen an den Tisch: Bäuerinnen und Bauern, Vertreter/innen der Gesellschaft, Lebensmitteleinzelhandel, Milch-, Fleisch- und Getreideunternehmen, Agrarhandel, Wasserwirtschaft, Wissenschaft und Politik.
Am 17. Januar 2020 ruft „Land schafft Verbindung“ zu bundesweiten Bauern-Demonstrationen auf. Am 18. Januar 2020 findet zum 10. Mal die „Wir haben es satt –Demonstration“ in Berlin statt. Anlässlich der Internationalen Grünen Woche demonstrieren an diesem Tag Bäuerinnen und Bauern zusammen mit der Gesellschaft in Berlin und machen sich stark für eine bäuerliche und ökologischere Landwirtschaft, für eine andere Agrarpolitik und für gesundes Essen.
Wir rufen dazu auf, die Wagenburgen zu verlassen. Gegenseitige Schuldzuweisungen zwischen Bauern, Nichtregierungsorganisationen und Politik helfen uns nicht weiter. Es ist Zeit zu handeln und Mut zu haben, neue Wege zu gehen.
Worauf warten wir?
Georg Janßen, Bundesgeschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) e.V. und Anmelder der Wir haben es satt- Demonstration am 18.01.2020