Zuckerkonzerne machen in „Veggie“

Marktbeobachtungen von Hugo Gödde +++ Selbst für Brancheninsider war es ein Überraschungscoup. Die Rügenwalder Mühle, mit Abstand Marke Nr. 1 bei Fleischersatzprodukten und Nr. 8 im Wursthersteller-Ranking 2022 mit ca. 263 Mio. €, hat eine Mehrheitsbeteiligung des Kölner Zuckerkonzerns Pfeifer& Langen angekündigt – vorbehaltlich der Zusage der Kartellbehörde. Im letzten Jahr hatte Rügenwalder, der Pionier des Fleischersatzes, schon 60% seines Umsatzes im pflanzenbasierten Bereich erzielt. Aber in diesem Jahr stockt der Absatz. Man musste sogar Rückgänge verzeichnen. Und die Konkurrenz wird mächtiger und holt auf. Mit den eigenen Finanzmitteln sind die gesetzten Ziele kaum zu erreichen. Um auf dem „Veggiemarkt“ weiterhin erfolgreich zu sein, muss man viel Geld in die Hand nehmen, was auch ein führendes mittelständisches Familienunternehmen schwer aufbringen kann – für neue Technikverfahren, für Forschung, für die Markterweiterung und den Export. Woher aber das Geld nehmen? Das Risikokapital an der Börse zu holen, ist nicht der Weg des deutschen Mittelstands und der Familienbetriebe. Außerdem scheinen die Zeiten der Börsengänge à la USA vorbei. Also schaut man sich nach Investoren um, die auf den Markt drängen und über ausreichend Kapital verfügen.

Pfeifer und Langen „der richtige Hafen“

Offenbar hat sich Pfeifer und Langen erfolgreich angeboten. Sie sehen sich als der „richtige Hafen“, in dem die „Mühle“ ankern könne. Der Zuckerkonzern, mit 1,3 Mrd. € einer der größten Zuckerhersteller in Europa, will sein Geschäft diversifizieren und hat erst in diesem Sommer eine neue Holding aufgestellt: „The Nature‘s Richness Group“, worin neben Rügenwalder auch die eigene Marke Endori beheimatet ist, die hauptsächlich Erbsen als Grundstoff verarbeitet. Insgesamt setzt der Konzern auf den pflanzenbasierten New-Food-Bereich, der bisher aber erst 50 Mio. € Umsatz macht und sich jetzt natürlich ordentlich erweitert.

Der Zuwachs passt zur Strategie einer breiteren Aufstellung am Markt, den zurzeit alle Zuckerkonzerne verfolgen. Zu Pfeifer & Langen gehört auch der Chipsproduzent Intersnack (chio Chips, funny frisch, ültje), außerdem zur Hälfte der Kaffee-und Süßwarenhersteller Krüger oder auch das Zucker-Startup Savanna, das Cellobiose produziert. Man sieht großes Potenzial für pflanzenbasierte Produkte, auch wenn der Sektor aktuell schwächle.

Konsolidierung und Neuaufstellung am Ersatzmarkt  

Insgesamt scheint sich der Markt für Fleisch- und Milchersatzprodukte in diesem Krisenjahr neu aufzustellen. Die Pioniere werden gerade eingeholt und die Branchenführer halten den Markt für attraktiv genug, sich zu engagieren. Noch sind die Marktanteile nicht vergeben. Die zumeist mittelständische Wurstindustrie ist bereits seit Jahren im Krisenmodus und sucht nach neuen Wegen. Der starke Rückgang des Verzehrs an Schweinefleisch trifft auch die Wursthersteller, da der mit Abstand größte Teil der Wurstprodukte auf Basis von Schweinefleisch erzeugt wird. Da kommt der plant based-Hype gerade recht. Viele Unternehmen sehen darin eine Chance und Rügenwalder gilt als Vorbild. Der bayerische Hersteller Ponath (Nr. 7) setzt kräftig auf vegane Produkte und wirft seine vegetarische Range aus. Die Zur Mühlen-Gruppe von Tönnies (Wurst-Umsatz insgesamt 1 Mrd. €) will ein ganzes Werk allein auf Imitate umstellen.

Auch die „InFamilyFoods“, mit 742 Mio. € Umsatz Nr. 2 am Wurstmarkt, eine Fusion der norddeutschen Unternehmen Kemper und Reinert, ringt mit einer neuen Ausrichtung und Struktur. Eine neue Führungsmannschaft soll die Firma aus der Krise führen. Langjährige Führungskräfte der Fleischwarenbranche werden „mitsaniert“. Neue Manager (gern um die 40 Jahre) sollen die Neuaufstellung auf drei Bereiche betreiben. Neben dem Wurstgeschäft soll ein starkes Fleischersatzsegment mit der Marke „Billie Green“ entstehen und ein strategisches Gewicht auf Laborfleisch („Marke: The cultivated B“) gelegt werden. Ein Produkt (zellfleischbasierter Hotdog) hat man bereits in der Schweiz zur Zulassung angemeldet, aber der eigentliche Markt sind die USA. Die Transformation mit dem „Ziel der Technologie- und Innovationsführerschaft“ in der Branche sei aber auch dringend nötig gewesen. „Es war bitterernst,“ so der neue Chef Georg Hürth, der Anfang 2023 als Sanierer von Roland Berger gekommen war. Die hohen Rohstoffpreise und die unterschätzten Kosten der Fusion hätten dringend notwendige Maßnahmen erfordert, incl. Standortschließungen, Kapazitätssenkung, Entlassungen. Nun wolle man wieder angreifen und die Kostenführerschaft anstreben.

Inwieweit die Marktkonsolidierung greifen wird, hängt auch von den Discountern ab, die gerade, zunächst für die Eigenmarken, eine Preissenkung der pflanzlichen Produkte auf „tierisches Niveau“ verkündet haben, obwohl eigentlich Preiserhöhungen notwendig wären, wie Rügenwalder noch im Herbst gefordert hat.

Nordzucker investiert in plant based-Produkte

Überhaupt sind es auffallend die „Zuckerbarone“, die neben den klassischen Fleisch- und Milchkonzernen in den Markt um pflanzenbasierte Ernährung einsteigen. Damit sehen wir „eine große Chance, an diesem Zukunftsmarkt zu partizipieren,“ ist Nordzucker-Chef Lars Gorissen überzeugt. Man setze damit seine Wachstumsstrategie konsequent fort. Es sei ein Geschäftsfeld mit sehr attraktiven Perspektiven. Deshalb wolle man in den nächsten Jahren etwa 100 Mio. € in die Produktion von pflanzenbasierten Proteinen investieren und dafür in Niedersachsen ab Herbst 2024 ein neues Werk bauen. Das ist bei einem Umsatz von Nordzucker von gut 2 Mrd. € sicherlich mehr als ehrgeizig, Marktkenner nennen es vollmundig oder übertrieben. Ein Markteintritt ist in Vorbereitung, zunächst mit Erbsenproteine, die man als Konzentrat und Trocken-Texturat zur Weiterverarbeitung in der Lebensmittel- und Futtermittelindustrie anbieten werde. Endverbraucherprodukte sind nicht geplant. Die Erwartungen an den Markt sind groß, auch wenn die Art der Grundstoffe vielfach ungeklärt sind und diverse technischen Verfahren (Nassextrusion u.a.) noch in den Kinderschuhen stecken. Ob die Vorteile, die Nordzucker herausstellt, wie Verwurzelung in der regionalen Landwirtschaft oder konstant große Mengen zu günstigen Preisen, auf dem sich globalisierenden Markt der Pflanzenproteine genutzt werden können, muss sich noch herausstellen.

Hoher Zuckerpreis lässt Südzucker 100 Mio. € investieren

100 Mio. € will auch die Südzucker AG im Rahmen ihrer Konzernstrategie in Pflanzenproteine investieren. Das Tochterunternehmen Beneo hat dafür in 2022 das holländische Startup Meatless übernommen, die Fleisch- und Fischersatz auf der Basis von Reis, Weizen, Erbsen, Ackerbohnen, Lupinen und Quinoa zur Weiterverarbeitung herstellen. Der Erfolg der breiten Grundstoffe lässt aber noch auf sich warten.

Immerhin hat Südzucker von den hohen Zuckerpreisen profitiert und erstmals nach vier Jahren wieder schwarze Zahlen geschrieben. Seit Anfang 2023 hat sich der Zuckerpreis an der Börse auf ein 12–Jahreshoch katapultiert. Südzucker konnte dadurch einen 25%-Umsatzsprung in der Kampagne 2022/23 auf 9,5 Mrd. € machen und das Konzernergebnis verdoppeln. Auch das Geschäftsjahr 2023/24 verlaufe vielversprechend, so die Geschäftsführung vor der Presse. Allein das Zuckersegment trage mit 380 Mio. € im ersten Halbjahr zum positiven Ertrag bei (Vorjahr nur 16 Mio. €). Die Verteuerung von Rohstoffen und Energie konnten weit überkompensiert werden. Nicht umsonst hat der Einzelhandel die Zuckerkonzerne als Inflationstreiber ausgemacht, aber der Weltmarkt gibt es her. Monatelang stiegen die Preise für Süßwaren um weit über 50%. Die hohen Zuckerpreise haben auf die diesjährige Rübenernte voraussichtlich wenig Auswirkungen. Aber schon im letzten Trockenjahr 2022 bekam der Zuckerrübenanbauer mit 55 €/ Tonne einen attraktiven Preis.

Der Marktbeobachter stellt fest, dass die Zuckerkonzerne zuletzt ihre Investitionskasse gut gefüllt haben und sich nun in den Markt für Pflanzenproteine einbringen – sowohl als Hersteller von Konzentraten u.a. für die Industrie, aber auch - wie Pfeifer und Langen – durch direkte Mehrheitsbeteiligungen in der Produktion für den Handel. Alle erwarten für sich ein großes Geschäft, auch wenn die aktuellen Margen alles andere als profitträchtig gelten und viele Unternehmen der Branche sich in einem schwierigen Marktumfeld wiederfinden. Welche Rolle die Zuckerbarone bei der Marktkonsolidierung spielen, ob sie gar Treiber bei der Marktbereinigung sind, wird sich noch zeigen. Aber der pflanzenbasierte Proteinmarkt ist ja auch viel mehr als Fleisch- oder Milchersatz.

06.12.2023
Von: Hugo Gödde

"Hochmoderne Biotechnologie für eine skalierbare und nachhaltige Proteinproduktion" heißt es auf der Homepage von Cultivated B. Bildquelle: Cultivated B