32 Verbände fordern von Bundesregierung gesellschaftsfähige EU-Agrarpolitik ein

Berlin soll Widerstand gegen Paradigmenwechsel aufgeben. Die Milliarden Euro Steuergelder brauchen wirksame ökologische und soziale Kriterien

In einer heute veröffentlichten umfangreichen Stellungnahme rufen 32 Verbände und Organisationen dazu auf, die aktuelle Reform der EU-Agrarpolitik offensiv zu nutzen, um „weitreichende Fehlentwicklungen in der europäischen Land- und Ernährungswirtschaft zu korrigieren“. Das breite Bündnis aus Umwelt- und Naturschutz, Landwirtschaft, Entwicklungspolitik sowie Tier- und Verbraucherschutz erkennt an, dass die EU-Kommission in ihren Gesetzentwürfen einige langjährige Forderungen der Verbände im Ansatz aufgegriffen hat. Das betreffe insbesondere den Vorschlag, die rund 40 Milliarden Euro Direktzahlungen, die jährlich direkt an landwirtschaftliche Betriebe fließen, verbindlich an einfache, aber wirksame ökologische und soziale Standards zu binden. Die konkreten Standards im Entwurf der EU-Kommission gehen den Verbänden zwar nicht weit genug. So können Landwirte auch in Zukunft etwa für Mais-Monokulturen die vollen Brüsseler Zahlungen erhalten. Dennoch stellt der Vorschlag im Gegensatz zur heutigen Politik aus Sicht der Verbände einen beginnenden „Paradigmenwechsel“ dar. Diesen halten die Verbände für zwingend notwendig, um zu einer Agrarpolitik mit breitem gesellschaftlichen Rückhalt zu kommen. In den laufenden Brüsseler Verhandlungen sollten die Vorschläge der Kommission daher so verbessert werden, dass sie die erforderlichen Änderungen in der Praxis tatsächlich bewirken. Auf umso mehr Unverständnis stößt bei den Verbänden, dass die Bundesregierung und insbesondere die Bundesministerin für Landwirtschaft (BMELV) Ilse Aigner gegen die Reformansätze der Kommission erheblichen Widerstand leistet. Das Bündnis fordert die Bundesregierung auf, diesen Widerstand aufzugeben und vielmehr zur aktiven Fürsprecherin für die erforderlichen Verbesserungen und einen echten Paradigmenwechsel in der EU-Agrarpolitik zu werden. Fruchtfolge einhalten, Grünland erhalten, 10 % Fläche mit zusätzlichem Umweltnutzen Die Verbände fordern entsprechend, dass die Direktzahlungen nur noch an solche Betriebe ausgezahlt werden, die folgende ökologische Standards einhalten: - eine echte Fruchtfolge mit Leguminosen (Eiweißpflanzen): Eine Frucht macht maximal 50 Prozent der Ackerfläche des Betriebes aus und Leguminosen mindestens 20 Prozent (entspricht alle fünf Jahre Leguminosen pro Feld), - heutiges Dauergrünland im Betrieb (Wiesen und Weiden) wird erhalten, nicht erst ab 2014, - ökologische Vorrangflächen auf mindestens 10 Prozent der gesamten Betriebsfläche (auch Grünland und Dauerkulturen), die so genutzt werden, dass sie einen deutlichen Beitrag zur Erhaltung der Biodiversität leisten, nicht mit chemisch-synthetischen Pflanzenschutz- und Düngemitteln behandelt und mit Wirtschaftsdüngern nicht überdüngt werden, - kein Anbau gentechnisch veränderter Organismen im Betrieb. Staffelung der Zahlungen und Berücksichtigung der Arbeitsplätze Den Vorschlag der EU-Kommission, die Direktzahlungen (Basisprämien) zu staffeln und dabei den Faktor Arbeit über die betrieblichen Lohnkosten kürzungsmindernd zu berücksichtigen, begrüßen die Verbände im Ansatz. Sie fordern jedoch, die Staffelungs- und Kappungsgrenzen niedriger anzusetzen und nicht die vollen 100 Prozent der Lohnkosten gegenzurechnen. Den Mitgliedstaaten und Bundesländern soll zudem die Möglichkeit für noch weitergehende Regeleungen eröffnet werden. Zukunftsprogramme der zweiten Säule erheblich stärken Deutliche Kritik üben die Verbände in ihrem Papier an Vorschlägen der EU-Kommission, die auf eine finanzielle Schwächung ausgerechnet der Agrarumwelt-, Klima- und Naturschutzmaßnahmen sowie der ökologischen Landwirtschaft hinauslaufen. Die Verbände fordern dagegen eine erhebliche Stärkung dieser Förderbereiche der so genannten zweiten Säule der EU-Agrarpolitik. Zudem sollen Investitionsbeihilfen z.B. für Stallbauten an strenge Umwelt-, Tierschutz- und soziale Kriterien gebunden werden. Strikt abgelehnt wird von den Verbänden die von der EU-Kommission vorgeschlagene staatliche Förderung von Versicherungen oder Fonds zur Absicherung von Ertrags- bzw. Einkommensrisiken aus Mitteln der zweiten Säule. Marktordnungen ebenfalls an gesellschaftlichen Zielen ausrichten Agrarpolitik ist mehr als das Verteilen von Steuergeld. Nach den geltenden EU-Verträgen beinhaltet sie auch die Marktordnungen. Diese Regeln für die Akteure in den Agrarmärkten wollen die Verbände ebenfalls nach gesellschaftlichen Zielen neu ausrichten. Im Gegensatz zur EU-Kommission fordert das Bündnis, die Exportsubventionen als Instrument endlich und endgültig abzuschaffen. Entwicklungspolitische und ökologische Gefahren birgt nach Einschätzung der Verbände die Absicht der EU-Kommission, die Instrumente zur Mengenanpassung bei Milch, Zucker und Wein ersatzlos zu streichen. Als Folge seien Mengenausdehungen in bereits gesättigten EU-Binnenmärkten zu erwarten. Das erhöhe wiederum den Exportdruck und untergrabe insbesondere in Entwicklungsländern die Ernährungssouveränität. Die Verbände unterstützen dagegen die Vorschläge der Kommission, die Rechte von Erzeugern gegenüber Molkereien, Schlachthöfen und anderen Verarbeitern zu stärken. Internationale Verantwortung der EU-Agrarpolitik aktiv ausfüllen Kaum bis gar nicht berücksichtigt sehen die Verbände in den Vorschlägen der EU-Kommission generell die internationalen Auswirkungen der EU-Agrarpolitik und die weltweiten agrarpolitischen Herausforderungen, denen sich insbesondere auch Europa aktiv stellen müsse. Als wichtigen Schritt fordern die Verbände die EU auf, einen Beschwerdemechanismus einzurichten, der es Staaten und zivilgesellschaftlichen Organisationen ermöglicht, unfaire Handelspraktiken der EU bekannt zu machen, um diese abzustellen. Um ihre internationale Verantwortung zu übernehmen, müsse die EU zudem dringend die übermäßige weltweite Ressourcenbeanspruchung durch die europäische Agrar- und Ernährungswirtschaft abbauen: „Es wäre schon ein großer Schritt, wenn Europa sich dem Ziel verpflichtet, in der Bilanz eine Eigenversorgung mit Lebensmitteln zu erreichen, was insbesondere für die Eiweißversorgung gilt“, stellen die Verbände in ihrem Papier fest.
07.09.2012
Von: Gemeinsame Pressemitteilungen